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Bilanz- und Insolvenzrecht als strategisches Instrument

Topic: Positionierung am Kapitalmarkt durch Rechtsgestaltung


"When the rules of the game prove unsuitable for victory, the gentlemen of England change the rules."
Harold J. Laski, The Danger of Being a Gentleman, London 1932

IAS/IFRS – The Wind in the Willows


Als in 2008 der Bankrott der Lehman Brothers die erste Welle einer langjährigen weltweiten Finanzkrise auslöste, lockerte der International Accounting Standards Board (IASB, mit Sitz in London) umgehend die Regeln für Ansatz und Bewertung von Finanzinstrumenten in den Bank- und Unternehmensbilanzen. Am 13.10.2008 veröffentlichte der IASB Änderungen der IAS 39 (Finanzinstrumente – Ansatz und Bewertung) und IFRS 7 (Finanzinstrumente – Angaben). Es war von nun an möglich, bestimmte risikobehaftete Finanzinstrumente in den Unternehmensbilanzen in andere Kategorien umzugliedern, anders zu bewerten und dadurch ansonsten notwendige Wertabschreibungen zu vermeiden. Die Bewertung zu Marktpreisen konnte unter bestimmten Bedingungen durch marktunabhängige Modellrechnungen ersetzt werden. Das Ergebnis waren zum Teil wesentliche Überbewertungen in kapitalmarktorientierten Unternehmensbilanzen.

Diese sind im Grundsatz bis heute nicht bereinigt. Eine Neufassung der entsprechenden IAS (International Accounting Standards) bzw. IFRS (International Financial Reporting Standards) ist nicht vor 2015 zu erwarten. Bislang vorgelegte Änderungsvorschläge des IASB sind heftig umstritten und werden z.B. von dem US-FASB (Financial Accounting Standard Board) abgelehnt.

Der IASB rechtfertigt diese im Schnellverfahren und unter Umgehung des langwierigen EU-Endorsement umgesetzte grundlegende Änderung von Bilanz- und Bewertungsregeln mit der Krisensituation an den Finanzmärkten. Man befürchtet einen Zusammenbruch des weltweiten Bankensystems und folgend der sog. „Realwirtschaft“. Die Umgliederungen mit den entsprechenden Bewertungskonsequenzen waren bislang nur nach US-GAAP (US Generally Accepted Accounting Principles) möglich, nach IFRS (International Financial Reporting Standards) aber verboten.

Aufweichung der Insolvenzauslösetatbestände


Parallel wurde in Deutschland durch Art. 5 FMStG der Auslösetatbestand der Überschuldung aufgeweicht. Damit sollen Insolvenzen als Folge der Finanzkrise weitgehend vermieden werden. Während bis dahin eine Überschuldung im Rahmen eines Status festzustellen war, in dem die Vermögensgegenstände (assets) in Abhängigkeit einer insolvenzrechtlichen „Fortbestehens- bzw. Überlebensprognose“ entweder zu Fortführungs- oder Zerschlagungswerten anzusetzen waren, ist nun laut § 19 Abs. 2 InsO allein eine negative Fortbestehensprognose Ausgangspunkt für die Feststellung einer Überschuldung. Diese Prognose ist an der Finanzkraft des Unternehmens zu orientieren, den Einzahlungen und Auszahlungen über einen bestimmten Prognosezeitraum. Es ist eine Zahlungsfähigkeitsprognose. Wie lang dieser Prognosezeitraum zu sein hat, hängt vom Einzelfall ab und ist damit gestaltbar. Während das Institut der Wirtschaftsprüfer einen Zeitraum von ca. zwei Jahren fordert (mindestens das laufende und das folgende Geschäftsjahr), können laut BGH auch fünf Monate im Einzelfall hinreichend sein, BGH II ZR 269/91. Durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 9. November 2012 wurde die bislang befristete Überschuldungsdefinition des § 19 Abs. 2 InsO auf Dauer beibehalten.

Damit kann eine notwendige Marktbereinigung nicht erreicht werden. Ergebnis ist eine rückläufige Zahl an Insolvenzen trotz Krise und damit einhergehend eine zunehmende Zahl an „Zombie“-Unternehmen, die nach Bewertungs- und Insolvenzmaßstäben ex ante Finanzmarktkrise nicht mehr am Markt teilnehmen dürften.

Die Aufweichungen der beiden grundlegenden Regelwerke wirtschaftlichen Handelns, Bilanzrecht und Insolvenzrecht, verstärken sich gegenseitig. Sir Mervyn King, ehemaliger Governor der Bank of England, hat in einer vielbeachteten Rede am 23. Oktober 2012 darauf hingewiesen, dass Banken im zunehmenden Maße Zwangsvollstreckungen in das Vermögen ihrer Schuldner aufschieben, um Abwertungen in ihren Bilanzen zu vermeiden. Er warnte davor, „distressed loans“ in den Bilanzen zu kaschieren unter dem Vorwand, sie könnten doch eines Tages zurückgezahlt werden. Dies betrifft insbesondere die schwächsten Länder der Euro-Zone: Griechenland, Spanien, Italien und Portugal, die alle in 2011 laut Berechnungen von Creditreform die niedrigsten Insolvenzraten in Europa hatten. So sollen in 2011 in Griechenland nur fünf(!) Unternehmen insolvent erklärt worden sein, trotz schwerster nationaler Wirtschaftskrise. Standard & Poors warnt in 2014 vor einer Absenkung der Ratings für europäische Banken, da Kreditrisiken der Banken zukünftig verstärkt von den Gläubigern selbst getragen werden sollen – "bail-in" durch Gläubiger vs. "bail-out" durch staatliche Hilfen.

Wettbewerbsvorteil durch strategische Rechtsgestaltung


Diese Beispiele zeigen, wie entscheidend, ja überlebenswichtig, optimale Rechtsgestaltung wirtschaftlicher Sachverhalte für die Positionierung eines jeden Unternehmens am Markt ist. Letztlich handelt es sich um wirtschaftliche Probleme in anderer, nämlich rechtlicher Verpackung. Durch geschickte Nutzung der von IASB/FASB und einem gelockerten Insolvenzrecht ermöglichten Ansatz-, Fortführungs- und Bewertungswahlrechte können Unternehmen sich gegenüber dem Kapitalmarkt als mehr oder weniger „finanzstark“ und damit kreditwürdig darstellen; selbst wenn sie es nach rigoroser und rein betriebswirtschaftlicher Tatsachenprüfung nicht oder nicht im dargestellten Ausmaß sind. Die mehr oder weniger "schöne Verpackung" lenkt ab von den wirtschaftlichen Tatsachen. Es wird zunehmend schwieriger, zu dem in immer komplexeren rechtliche Fiktionen eingeschnürten wirtschaftlichen Kern – den eigentlichen "Tatsachen" – durchzustoßen, für Laien faktisch unmöglich.

Hier entsteht ein klarer Wettbewerbsvorteil durch strategische Rechtsgestaltung, der von wesentlicher Bedeutung ist und bei der Bewertung von Unternehmen am Kapitalmarkt nicht unbeachtet bleiben darf.

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